23. und 24. Mai 2014
Was den meisten Zeitgenossen überhaupt nicht auffiel, erhitzt mittlerweile die Gemüter von Historikern. Seit Anfang 1983 hielt man im Umfeld des sowjetischen Staats- und Parteichefs Juri Andropow einen nuklearen Überraschungsangriff der USA gegen die UdSSR für möglich, wenn nicht gar für wahrscheinlich. Als hätte es nur noch eines abschließenden Beweises bedurft, trieb die NATO-Übung »Able Archer« im November 1983 derlei Ängste auf die Spitze. Wie gefährlich war diese in der Öffentlichkeit unbemerkte Krise? Stand die Welt damals tatsächlich am Rande eines Atomkrieges aus Versehen, ausgelöst durch Missverständnisse, Fehldeutungen und Panik? Jüngste Forschungen regen dazu an, das angeblich gefährlichste Jahr des Kalten Krieges noch einmal in den Blick zu nehmen.
Im Rahmen unseres Colloquiums wurde darüber diskutiert, ob und in welcher Weise neu zugängliches Quellenmaterial in Ost und West das gängige Bild der damaligen Ereignisse korrigiert oder bestätigt hat. Vor allem aber ging es darum, am Beispiel von »Able Archer« Themen aufzugreifen, die für die Geschichte des Kalten Krieges essentiell waren und auch heute nichts von ihrer Bedeutung eingebüßt haben. Gemeint sind die Rolle von Geheimdiensten bei der politischen Meinungsbildung und Entscheidungsfindung, die von nuklearer Hochrüstung ausgelösten Perzeptionen und Fehlperzeptionen, die Präsenz und Instrumentalisierung von Bedrohungsgefühlen und Ängsten sowie das prekäre Wechselspiel von Vertrauen und Misstrauen in der internationalen Politik. Nicht zuletzt regen die Vorgänge des Jahres 1983 dazu an, das Selbstbild und die Handlungsoptionen sowjetischer Eliten in einer Zeit zu untersuchen, die in Moskau als Beleg eines tief greifenden Machtverlusts gedeutet wurde und erste Befürchtungen über ein bevorstehendes Ende der Sowjetunion aufkommen ließ.
Das Colloquium fand in englischer Sprache statt.