30. November und 1. Dezember 2012
Mitunter lohnt es sich, längst in Vergessenheit geratene Bücher neu zu lesen. Clinton Rossiters 1948 publizierte Studie Constitutional Dictatorship–Crisis Government in the Modern Democracies zählt zweifellos dazu. »This book«, so der amerikanische Historiker und Politikwissenschaftler im Vorwort, »proposes to demonstrate how the institutions and methods of dictatorship have been used by the free men of the modern democracies during periods of severe national emergency.« In anderen Worten: Es geht um einen »Stresstest« moderner Demokratien. Am Beispiel der Weimarer Republik sowie der Krisenpolitik in Frankreich, Großbritannien und den USA zwischen 1919 und 1945 diskutiert Rossiter die politischen und verfassungsrechtlichen Reaktionen auf existentielle Herausforderungen wie chronische Wirtschaftskrisen und sozialen Umsturz, militärische Bedrohung und Krieg. Wann werden welche demokratischen Verfahren und von der Verfassung verbrieften Rechte suspendiert, welche Konsequenzen sind damit verbunden, gelingt nach Überwindung der Krise eine Rückkehr zum Status quo ante?
Im Grunde diskutiert Rossiter Probleme, die sich seit Beginn des 21. Jahrhunderts erneut und mit unerwarteter Dringlichkeit stellen. Ob in den USA nach »9/11« oder im von Währungs- und Fiskalkrisen geplagten Europa – erneut geht es um die Frage, wie weit die Machtprivilegierung der Exekutive reichen darf, wann das Parlament auf seinem Recht der Mitsprache und Mitentscheidung beharren muss und welches Votum dem staatsbürgerlichen Souverän zusteht. Constitutional Dictatorship ist knapp 65 Jahre nach der Erstveröffentlichung auch deshalb von bemerkenswerter Aktualität, weil das Buch ins verborgene Zentrum gegenwärtiger Politik trifft: Antworten auf Herausforderungen finden zu müssen, die sich einer raschen Lösung entziehen oder gar unlösbar sind.
Tagungssprache war Deutsch.
Im Gespräch mit Bernd Greiner
Bernd Greiner im Mittelweg 36
William E. Scheuerman live am Einstein Forum (auf Englisch)