14. bis 16. April 2011
Die Tagung verknüpfte das moderne Phänomen der Lager mit dem historisch sehr viel älteren Thema der Ausgrenzung, der sozialen Kontrolle und der Gewalt. Lager sind eine Erfindung der »klassischen Moderne«, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der globalen Ausbreitung des Kolonialismus um 1900 stehen. Sie fungierten als Orte der Verwahrung ganzer Bevölkerungsgruppen, die, häufig im Zuge von Vertreibungen, als Fremde oder Feinde definiert wurden. Nicht erst seit Giorgio Agambens Diktum vom »Lager als nomos der Moderne«, als Matrix des »Ausnahmezustandes», ist das Lager zur Chiffre von Gewalt und Krieg im 20. Jahrhundert geworden. Obwohl die massenhafte Internierung durchaus genozidale Folgen haben konnte, wurde das Thema der Tagung nicht von diesem radikalen Endpunkt aus gedacht. Vielmehr sollte das Phänomen »Lager« in den Zusammenhang seiner Entstehung und Weiterentwicklung gestellt werden.
In den ersten beiden Sektionen wurde daher nach dem Ursprung und der Funktion von Lagern in den kolonialen Territorien gefragt: Lager waren Mittel zur gewaltsamen ethnischen Ausgrenzung innerhalb neu gezogener Grenzen und dienten der Sozialdisziplinierung sowie der wirtschaftlichen Ausnutzung der Kolonisierten. Es stellte sich hier, wie in den weiteren Sektionen, die Frage nach möglichen transnationalen Lernprozessen seit der Errichtung der ersten Lager auf Kuba im Jahr 1896.
Trotz der um die Jahrhundertwende erreichten Fortschritte im Völkerrecht zur »Humanisierung« des Krieges wurden die Gefangenen – Kriegsgefangene ebenso wie Zivilisten – in Lagern kaum durch entsprechende Gesetze geschützt. Wie in der dritten Sektion gezeigt, war dies sowohl in den kolonisierten Räumen als auch im Europa des Ersten Weltkriegs der Fall. Nach 1918 wurde das inzwischen militarisierte Modell der Lager nicht selten zur Kontrolle von Migranten und Flüchtlingen ange¬wandt.
Im Zentrum der vierten und fünften Sektion stand die Frage nach dem Ursprung und Funktionswandel der Lager im nationalsozialistischen Deutschland sowie in der stalinistischen Sowjetunion. Hier wie dort waren die Lager Orte der Repression und des Terrors sowie der physischen Vernichtung. Außerdem wurde ihnen in beiden Systemen eine erzieherische Funktion unterstellt. Zur Erhellung des gesamten Spektrums sollten Konzentrationslager mit anderen Lagerformen im nationalsozialistischen Deutschland verglichen und nach dem Verhältnis von Zwangsarbeit und Lagern während des Zweiten Weltkriegs gefragt werden. Zum Vergleich wurden überdies das spanische Lagersystem unter Franco und die japanischen Lager im Zweiten Weltkrieg vorgestellt.
Nach 1945 verzichteten postfaschistische und auch demokratische Staaten nicht auf die Errichtung von Lagern. So entstanden unter anderem Lager für »Displaced Persons«, Flüchtlingslager, Internierungslager für Auf¬ständische in den Kolonien oder Lager für Terrorverdächtige. Lässt sich also von einer »Erfolgsgeschichte« einer Institution sprechen, die vom Ende des 19. bis zum Beginn des 21. Jahrhundert eine stringente Kontinuität aufweist?
Wir danken der Alfred Toepfer Stiftung F.V.S. für die finanzielle Unterstützung der Konferenz.
Tagungssprachen waren Deutsch und Englisch.
Wissenschaftliche Beratung: Bernd Greiner (Hamburger Institut für Sozialforschung), Gerhard Hirschfeld (Bibliothek für Zeitgeschichte, Stuttgart), Michael Wildt (Humboldt-Universität zu Berlin)
Im Gespräch mit Alan Kramer
Alan Kramer und Richard Overy im Mittelweg 36