19. und 20. März 2010
In der Diskussion über die Präsidentschaft von George W. Bush taucht vermehrt ein Begriff auf, der Mitte der 1970er Jahre von Arthur Schlesinger Jr. unter dem Eindruck des Watergate-Skandals geprägt worden war und seither fast vergessen schien: »Imperial Presidency«.
»Imperial Presidency« wirft ein Problem auf, das weit über die Amtsführung eines individuellen Präsidenten hinausweist: Wer entscheidet über Krieg und Frieden? Wie weit reichen die Befugnisse der Exekutive, wann muss die Zustimmung der Legislative eingeholt werden, welche Rolle spielt die Judikative im Zuge dieser Debatten und Entscheidungen?
Dass diese Fragen im Zentrum des Politischen stehen, versteht sich von selbst. Ebenso, dass sie in demokratischen Staatswesen von besonderer Brisanz sind – stellt sich damit doch zugleich das Problem der Gewaltenteilung, der Kontrolle von Macht- und Gewaltapparaten, des Primat der Politik über das Militär und der öffentlichen Teilhabe an der Entscheidung über das wichtigste individuelle wie öffentliche Gut: Leben, körperliche wie psychische Unversehrtheit.
Es geht also um Fragen, denen sich neben den USA auch andere Demokratien gegenüber sehen, heute wie auf absehbare Zeit.
»Imperial Presidency« steht – so lässt sich mit Blick auf die USA feststellen – steht für eine politische Zeitenwende Mitte des 20. Jahrhunderts. War es bis zum Zweiten Weltkrieg stets gelungen, die im Laufe von Kriegen ausgeweitete Macht der Exekutive im Allgemeinen und des Präsidenten im Besonderen nachträglich einzuhegen, so scheiterten diese Bemühungen nach 1945 ein um das andere Mal – ein Tribut an den permanenten, von nuklearer Überrüstung und Kaltem Krieg geschaffenen Ausnahmezustand.
Die Geschichte gescheiterter Korrekturen zu rekonstruieren, heißt, nicht allein den Macht- und Behauptungswillen des Weißen Hauses in den Blick zu nehmen. »Imperial Presidency« handelt auch von einer Legislative, die ihren Kontrollanspruch freiwillig aufgibt und sich selbst entmachtet. Und nicht zuletzt bezieht sich »Imperial Presidency« auf eine Öffentlichkeit, die sich hinter starke Präsidenten schart, bereit, auch ausufernde Machtansprüche zu tolerieren und anfällig zur vorauseilenden Selbstmobilisierung in Zeiten der Spannung und Krise.
Welche Beschädigungen der Demokratie – institutionell wie normativ – mit dieser aus verschiedenen Quellen gespeisten Dynamik einhergehen, hat nicht zuletzt die Entwicklung nach »9/11« gezeigt. Dementsprechend müssen auch folgende Stichworte als intellektuell und analytisch orientierend verstanden werden: politische Paranoia oder »the paranoid style in American politics«, Verschwörungsphantasien, Sicherheitsdenken und Unsicherheitsvorstellungen, Visionen von Innen und Außen. Kurz: Ohne einen Begriff einer »politics of emotion« greift jede Betrachtung der »Imperial Presidency« zu kurz.
Über »Imperial Presidency« zu diskutieren, heißt also, historische Analyse für die Diagnose unserer Zeit fruchtbar zu machen – am Beispiel der Vereinigten Staaten und weit über dieselben hinaus.
Dabei wurden in kleiner Runde folgende Fragen diskutiert:
Erstens: Mit welchen Mitteln und auf welche Weise haben Präsidenten im Vorfeld respektive im Verlauf von Kriegen und Ausnahmezuständen die Kompetenzen ihres Amtes auf Kosten anderer Verfassungsorgane ausgeweitet?
Zweitens: Wie erfolgreich waren die Bemühungen des Parlaments, verlorenes Terrain zurück zu gewinnen? Wann und unter welchen Bedingungen konnte man diesen Anspruch durchsetzen? Wann und aus welchen Gründen scheiterte der »Rückbau« präsidialer Macht? In andrren Worten: Wie ist es um die Möglichkeiten zur Selbstkorrektur des politischen Systems bestellt?
Drittens: Welche Rolle spielte die politische Öffentlichkeit in diesen Kontroversen, in welcher Weise hatte sie an den Debatten teil und mit welchem Ergebnis?
Das Colloquium fand in englischer Sprache statt.
Im Gespräch mit Bernd Greiner
Tim B. Müller und Christopher H. Pyle im Mittelweg 36