3. und 4. Februar 2012
Die Welle politischer Revolutionen, von der die arabische Welt im Jahr 2011 erfasst wurde, hat das Interesse an Theorie und Praxis gewaltlosen Widerstands neu belebt. Zwar verlief keiner der Aufstände vollkommen gewaltfrei. Auch kam es in einigen Fällen zu Blutvergießen oder sogar zum Bürgerkrieg. Und doch spielten die gewaltlosen Protest- und Widerstandsformen eine entscheidende Rolle beim Sturz der autoritären Regime in Ägypten und Tunesien. In beiden Fällen machte eine kleine Gruppe von Aktivistinnen und Aktivisten den Anfang; sie übten mit Mitstreitern Methoden ein, die in anderen Ländern ausprobiert und publizistisch weit verbreitet worden waren. Die Rolle, die Gene Sharp und seine Albert Einstein-Institution in diesem Zusammenhang für den Arabischen Frühling spielten, ist mit viel Aufmerksamkeit bedacht worden – ebenso wie die Vorbildfunktion von Organisationen wie die der serbischen Optor und Canvas.
Im Colloquium ging es um Anwendungsmöglichkeiten und Grenzen gewaltlosen Widerstands in einer breiteren historischen Perspektive. Wir diskutierten Fragen wie: Eignet sich gewaltloser Widerstand eher für einen Regimewechsel oder für lokale und begrenzte Veränderungen? Wenn ersteres der Fall ist: Kann oder soll gewaltloser Widerstand den Protestierenden helfen, dauerhaft politische Macht zu erlangen? Oder ist der Widerstand zwangsläufig dazu bestimmt, von Eliten ausgebeutet zu werden, die weniger Skrupel kennen? Gibt es überhaupt eine Verbindung zwischen gewaltfreiem Widerstand und Pazifismus oder ist Gewaltfreiheit Bestandteil eines umfassenderen Methoden-Werkzeugkastens – und Pazifismus lediglich eine Ablenkung? Ist gewaltloser Widerstand immer eine Kraft zum Guten? Haben die Versuche, eine »best practice« des gewaltlosen Protests zu beschreiben, theoretisch zu fassen und zu kodifizieren – angefangen bei Henry David Thoreau und Leo Tolstoi bis hin zu Gandhi und Gene Sharp – eine fassbare Auswirkung in der Praxis? Oder entwickelt sich gewaltloser Widerstand spontan und unabhängig von derlei intellektuellem Gepäck? Welche Bedingungen müssen gegeben sein, damit der gewaltlose Protest effektiv ist, und können diese Bedingungen auf eine allgemeingültige Art und Weise fixiert werden?
Um diese Fragen aus vielen verschiedenen Blickwinkeln zu erörtern, hatten wir eine Gruppe von Geistes- und Sozialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern aus den USA, dem Nahen Osten und Osteuropa nach Berlin eingeladen. Ebenfalls teilgenommen haben »Veteranen« der Protestbewegungen in West- und Ostdeutschland.
Tagungssprache war Englisch.
Im Gespräch mit Mischa Gabowitsch
Véronique Dudouet, Mischa Gabowitsch und Ramin Jahanbegloo im Mittelweg 36
Ahmed Jabari und Dmitri Makarov live am Einstein Forum (auf Englisch)