19. und 20. Februar 2016
Mit seiner 2014 erschienenen Studie Ganz normale Organisationen. Zur Soziologie des Holocaust (Suhrkamp) hat der Bielefelder Organisationssoziologe Stefan Kühl einen anregenden Ansatz zum Verständnis von Makrogewalt vorgelegt. Weitgehend an frühen organisationssoziologischen Arbeiten von Niklas Luhmann orientiert, geht es dem Autor darum, neue Akzente im Streit um die Frage zu setzen, warum sich „ganz normale Männer“ aktiv an Massenmorden beteiligten. Unsere Veranstaltung gab Gelegenheit, aus der Perspektive unterschiedlicher Disziplinen – vorweg der Soziologie und Geschichtswissenschaft – über die Thesen von Stefan Kühl zu diskutieren und nach neuen Ansätzen bei der Erforschung des Holocaust zu fragen: Welche Vorzüge bietet der von Kühl vertretene Ansatz im Vergleich zu anderen Paradigmen, insbesondere jenen, die sich auf sozialpsychologische Dimensionen von Täterschaft konzentrieren? Bilden die von Kühl untersuchten Organisationen tatsächlich die bürokratische Normalität des Nationalsozialismus ab oder bedarf es einer weitergehenden typologischen Differenzierung? Wie weit müssen Konzepte und theoretische Grundannahmen seitens einer Geschichtswissenschaft historisiert werden, die sich vermeintlich überzeitlicher, von der Soziologie entwickelter Argumente zur Erklärung massenhaften Tötens bedient? Ist der organisationssoziologische Ansatz überhaupt geeignet, um die Kluft zwischen mikro- und makrotheoretischen Ansätzen in der Gewaltforschung zu überbrücken? Falls nicht, welche theoretische Annäherungen bieten sich zu einer innovativen Erforschung des Holocaust an? Und nicht zuletzt: Wie beurteilen Holocausthistoriker die Zukunft ihres Fachs, von welchen anderen Disziplinen versprechen sie sich theoretische Anregungen?
Die Tagungssprache war Deutsch.